ÜBER DEN LINIEN

Format*

Eine visuelle und klangliche Collage.

Über den Linien ist eines der Workshop-Formate des ersten Zyklus von Polisfonia, das in Zusammenarbeit mit der Künstlerin und Pädagogin Nadia Tamanini entwickelt wurde. In diesem Artikel finden Sie eine zusammengefasste Version des Formats und einige Klangbeispiele.

ZWECK DES LABORS

Ziel des Workshops ist es, die Reflexion und den Dialog über politische Themen mit Hilfe von Papier- und Toncollagen zu fördern. Das Format ist so konzipiert, dass es im öffentlichen Raum und mit freiwilliger, freier und zufälliger Teilnahme von Menschen durchgeführt werden kann, kann aber auch in spezifischeren Kontexten und mit spezifischeren Gruppen von Menschen (wie Vereinen, Schulklassen usw.) durchgeführt werden.

WARUM SOLLTE DIESER WORKSHOP ÜBERHAUPT STATTFINDEN?

Weil es oft schwierig oder langweilig ist, über politische Themen zu sprechen, oder weil es schwierig ist, Menschen zu finden, mit denen man sich austauschen kann, oder weil es immer dieselben sind. Um eine Gelegenheit für Austausch, Dialog und Spaß zu schaffen. Um mit einer ungewöhnlichen, aber sehr kreativen Begegnungspraxis zu experimentieren. Denn einen Raum zu besetzen und eine kleine Gemeinschaft zu bilden, wenn auch nur für kurze Zeit, macht uns zu aktiven Teilnehmern am Leben eines Ortes und kann uns die Möglichkeit geben, ihn neu zu gestalten oder neu zu diskutieren.

TECHNISCHE INFORMATIONEN

POLITIK?
Unter Politik verstehen wir all jene bewussten und unbewussten Praktiken und Prozesse, durch die wir unser Zusammenleben in der Gesellschaft gestalten. Alle Praktiken und Beziehungen, die es Menschen ermöglichen, in Gruppen wie Stämmen, Städten oder Ländern zusammenzuleben, sind daher politisch. Das ist eine weit gefasste Definition, aber sie erlaubt uns zu verstehen, dass alles, was wir in einem sozialen Kontext tun, politisch ist.

IDEALER STANDORT
Öffentlicher Raum im Freien (Parks, Plätze, Straßen, Gärten…)

DAUER
1,5~2 Stunden

ANZAHL DER TEILNEHMER:INNEN
~10

ALTER

10 Jahre alt (die Erfahrung ist in der Regel tiefer mit Erwachsenen)

TYPOLOGIE DER TEILNEHMER:INNEN
Personen, die zufällig für den Workshop ausgewählt wurden, oder spezifischere Gruppen (z. B. Einwohner eines bestimmten Ortes, Schulklasse, Mitglieder eines Vereins, …)

ERFORDERLICHE KENNTNISSE/FÄHIGKEITEN (Teilnehmer:innen)
Papier ausschneiden und zusammenkleben. Eine sehr einfache digitale Schnittstelle bedienen können.

NÜTZLICHE KENNTNISSE/FÄHIGKEITEN (Teilnehmer)

  • Verstehen und Sprechen der Landessprache
  • Musikalische Erfahrungen (z. B. Musik hören, Instrumente spielen, singen, mit Klängen experimentieren…)
  • Lesen und Schreiben
  • Zeichnen

NÜTZLICHES WISSEN/FÄHIGKEITEN (Moderation)

  • Alle der oben genannten
  • Erfahrung mit der Collagetechnik und mit Software für Audioaufnahmen
  • Aufmerksamkeit und Einfühlungsvermögen gegenüber Menschen
  • Offene, integrative und nicht-diskriminierende Haltung
  • Fähigkeit zum aufmerksamen Zuhören
  • Gute rhetorische und synthetische Fähigkeiten
  • Erfahrung in der Moderation von Workshops

MATERIALIEN (Checkliste)

ERFORDERLICH

  • Papierbögen
  • Zeitungen, Zeitschriften, Bilder, Comics, die in Stücke geschnitten werden können
  • Marker und/oder Stifte
  • Schere
  • Papierkleber
  • Ein Tablet oder Smartphone
  • Eine Mehrspur-Recorder-App oder eine Sampler-App (wie Koala Sampler)

OPTIONAL, ABER EMPFOHLEN

  • Handtücher oder Kissen
  • Batteriebetriebene Lautsprecher
  • Essen und Trinken
foto: teo

DURCHFÜHRUNG DES WORKSHOPS

Above the Lines ist ein Format, das nach einer Einführung 4 Hauptphasen umfasst:

  • Visuelle Collage und Themenfindung
  • Von der visuellen zur akustischen Collage
  • Kollektive Klangcollage
  • Dialog und Vertiefung
Workshop Phasen

PHASE 0 - EINFÜHRUNG [~10min]

Die Einführung dient dazu, dass sich die Teilnehmer wohlfühlen, sich gegenseitig besser kennenlernen und erklären, woraus der Workshop besteht. Die ideale Einführung kann je nach Kontext und Art der Teilnehmer sehr unterschiedlich ausfallen.
Einige nützliche Aspekte sind zu berücksichtigen:

  • Man sollte sich bemühen, den Rahmen so zugänglich, einladend und angenehm wie möglich zu gestalten (der Leitfaden Bedingungen für eine bessere (politische) Beteiligung kann dabei eine große Hilfe sein)
  • Die TeilnehmerInnen sollten freundlich begrüßt werden und man sollte sich bemühen, sie ein wenig kennenzulernen; in diesem Zusammenhang könnten die ModeratorInnen versuchen herauszufinden, ob die TeilnehmerInnen bereits Erfahrung mit dem Musizieren haben
  • Findet der Workshop in einem öffentlichen Raum mit offener und spontaner Beteiligung statt, kann die Einführung mit einem einfachen informellen Gespräch beginnen
  • Wenn sich die Teilnehmer nicht kennen, sollte das gegenseitige Kennenlernen gefördert werden.
  • Findet der Workshop in einem institutionellen Rahmen statt, in dem sich die Teilnehmer bereits kennen, kann eine Aufwärmübung oder ein Eisbrecher die Stimmung auflockern.
  • Die Moderatoren sollten den Zweck und die Struktur des Workshops in einer zusammenfassenden und klaren Weise erklären.
  • Bei offener und spontaner Teilnahme sollten die Moderatoren darauf achten, Teilnehmer, die während des Workshops hinzukommen, willkommen zu heißen und kurz vorzustellen, was gerade gemacht wird und wie sie sich beteiligen können.
  • Wenn Teilnehmer sich entschließen, den Workshop nach der Hälfte zu verlassen, sollten die Moderatoren darauf achten, die Teilnehmer zu begrüßen und zu verabschieden.

PHASE 1 - VISUELLE COLLAGE UND THEMENERZEUGUNG [~15/20min]

In der ersten Phase geht es darum, mit Hilfe der Technik der visuellen Collage politische Themen zu generieren. Die Leitfrage in dieser Phase lautet:

  • Welches politische Thema ist in Ihrem Leben im Moment besonders präsent?

Der/die Moderator/in bereitet eine Reihe verschiedener Materialien vor, die ausgeschnitten werden können, wobei sich aktuelle Zeitungen, Zeitschriften, Comics und Bilder optimal eignen. Diese Materialien können in der Regel kostenlos in Bars und an Kiosken gesammelt werden, sobald sie zu alt sind, um verkauft zu werden, sie können aber auch in Papiertonnen oder auf Recyclinghöfen gefunden oder natürlich auch neu gekauft werden. Die Art der Zeitungen und Zeitschriften spielt keine große Rolle, aber es ist sehr empfehlenswert, mehrere Optionen anzubieten, um eine bessere Inspiration zu fördern. Es ist auch wichtig, Materialien in den am häufigsten gesprochenen Sprachen bereitzustellen, damit die Teilnehmer auch Texte in ihrer Sprache nutzen können. Die Teilnehmer werden dann gebeten, die bereitgestellten Materialien zu erkunden, sich von ihnen inspirieren zu lassen und eine Collage zu erstellen, die ein politisches Thema darstellt, das in ihrem Leben derzeit besonders präsent ist. Die Materialien können mit der Schere geschnitten oder von Hand zerrissen und mit Klebstoff auf das bereitgestellte A3-Papier geklebt werden. Die Teilnehmer können selbst entscheiden, ob sie einzeln oder in Gruppen arbeiten wollen.

Wenn alle Teilnehmer ihre Collagen fertiggestellt haben, kann die Gruppe die Arbeiten der anderen betrachten und die Phase endet.

foto: teo

PHASE 2 - VON VISUELLEN ZU KLANGLICHEN COLLAGEN [~5/10min]

In der zweiten Phase werden die visuellen Collagen in akustische Collagen umgewandelt. Dazu wird ein digitales Gerät wie ein Smartphone, ein Tablet oder ein Computer verwendet, auf dem eine Mehrspuraufnahme-App oder eine Sampler-App installiert ist. Wenn die Teilnehmenden Smartphones besitzen, können sie gebeten werden, eine entsprechende App herunterzuladen, falls nicht ein einziges Gerät für alle verwendet werden kann. Es gibt viele verschiedene kostenlose Apps, der/die Moderator/in sollte einige ausprobieren und eine auswählen, mit der er/sie gut arbeiten kann. Die Leitfrage in dieser Phase lautet:

  • "Wie würde Ihre visuelle Collage klingen?

Die Teilnehmer werden gebeten, für jedes Element der Collage eine Tonspur aufzunehmen und sie zu einer Klangkomposition, der Klangcollage, zu überlagern. Idealerweise sollte jeder Teilnehmer dies selbstständig mit seinem eigenen Gerät tun, wobei der/die Moderator(en) helfen kann/können, den Prozess zu erleichtern und technische Unterstützung zu leisten. Sobald die Klangcollage erstellt ist, wird jeder Teilnehmer gebeten, seine Komposition der Gruppe vorzustellen, und die Gruppe sollte aktiv zuhören. Der/die Moderator(en) sollte(n) die Kompositionen auf seinem/ihrem Gerät aufnehmen.

Zu diesem Zeitpunkt sollte jede Person eine Reihe von Audiospuren mit kleinen Klanginformationen haben und die Moderatoren sollten alle verschiedenen Kompositionen der Teilnehmer haben.

foto: teo

PHASE 3 - KOLLEKTIVE KLANGKOLLAGE [~15/20min]

Die dritte Phase besteht aus einer kollektiven Collage, in der die Teilnehmer ihre eigenen Klangstücke mit denen der anderen kombinieren und so neue Kompositionen schaffen. Die Leitfrage lautet:

  • Welche neuen Bedeutungen können durch die Kombination Ihrer Aufnahmen mit denen der anderen Teilnehmer entstehen?

Die Teilnehmer werden zunächst in kleine Gruppen von zwei oder drei Personen aufgeteilt, damit sie den neuen Ansatz leichter ausprobieren können. Nach ein paar Minuten werden die Gruppen gewechselt, damit weitere Versuche gemacht werden können. Zum Abschluss der Phase arbeiten alle Teilnehmer gemeinsam an einer einzigen Komposition. Während des gesamten Prozesses nehmen die Moderatoren die entstehenden Kompositionen auf und speichern sie für den abschließenden Dialog.

Beispiels eine Klangcollage

PHASE 4 - DIALOG UND Vertiefung [>20min]

In der letzten Phase bitten der/die Moderator(en) die Teilnehmer, ihre Gedanken und Gefühle über die Workshop-Erfahrung offen mitzuteilen, indem sie der Leitfrage folgen:

  • 'Welche Gedanken und Gefühle lösen die Klangcollagen bei Ihnen aus?'

Die aufgenommenen Kompositionen können erneut angehört und zur Unterstützung des Dialogs verwendet werden. Der/die Moderator/in sollte Fragen stellen, um die Aussagen der Teilnehmer/innen zu vertiefen. Mögliche Aspekte, die in dieser Phase angesprochen werden können, sind:

  • Interessante und/oder unerwartete Kombinationen von Themen
  • Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den aufkommenden Themen
  • Kompositionen, die besonders gut gelungen sind
  • Kontroverse Aspekte innerhalb der Kompositionen

Der abschließende Dialog kann so lange fortgesetzt werden, wie man möchte, und wenn man will, können die Teilnehmer versuchen, neue Teile aufzunehmen und neue Klangcollagen zu erstellen.

foto: teo

MÖGLICHE WORKSHOP-VARIANTEN

Fokussierung auf die Klangcollage
In der Standardversion beginnt der Workshop mit einer visuellen Collage, aber diese Phase könnte ganz übersprungen werden, um direkt mit der Klangcollage zu arbeiten. Um direkt an der Klangcollage zu arbeiten, wäre es jedoch notwendig, den Teilnehmern reichlich Klangmaterial zur Verfügung zu stellen. Dies kann entweder dadurch geschehen, dass der/die Moderator(en) vor Beginn des Workshops mehrere Audioschnipsel aus Filmen, Videos, Radiosendungen, Podcasts, Liedern, öffentlichen Reden usw. aufnimmt/aufnehmen, oder durch die TeilnehmerInnen vor Ort mit angemessener Unterstützung durch den/die Moderator(en). Dieser alternative Prozess erfordert eine große Menge an Audio-Samples, eine Schnittstelle, die es einfach macht, durch diese Samples zu navigieren, und mehrere Geräte, mit denen die verschiedenen Teilnehmer arbeiten können. Die Durchführung des Workshops auf diese Weise ist empfehlenswert, wenn die TeilnehmerInnen technisch versiert und daran gewöhnt sind, mit mehreren Geräten gleichzeitig zu interagieren, aber obwohl es kognitiv anspruchsvoller ist, konzentriert es sich mehr auf die klangliche Dimension als auf die visuelle.

Arbeit mit analogen Geräten
Wenn digitale Geräte nicht zur Verfügung stehen oder nicht zugänglich sind (z. B. bei der Arbeit mit Menschen, die Schwierigkeiten haben, mit moderner digitaler Technologie zu interagieren, oder mit Blinden), können stattdessen analoge Geräte wie Tonbandgeräte verwendet werden. Durch ihre haptische Beschaffenheit sind analoge Geräte reaktionsfreudiger und manchmal auch einfacher zu bedienen, doch fehlen ihnen oft einige fortschrittlichere Funktionen als digitalen Gegenstücken.