Die Klangliche Zusammenkunft ist eines der Workshop-Formate von Polisfonia, das in Zusammenarbeit mit dem Designer Enrico Tarò entwickelt wurde. Dieses Dokument enthält detaillierte Informationen über die Struktur des Formats und einige nützliche Ratschläge, wie man es am besten durchführen kann.
ZWECK DES LABORS
Ziel des Workshops ist es, die Reflexion und den Dialog über politische Worte/Konzepte mit Hilfe von Klangproduktion und Musik als Medium anzuregen. Das Format ist so konzipiert, dass es im öffentlichen Raum und mit freiwilliger, freier und zufälliger Teilnahme von Menschen durchgeführt werden kann. Es kann aber auch in spezifischeren Kontexten und mit spezifischeren Gruppen durchgeführt werden.
WARUM SOLLTE DIESER WORKSHOP ÜBERHAUPT STATTFINDEN?
Weil es oft schwierig ist, über politische Themen zu sprechen, oder langweilig, oder es ist schwierig, Menschen zu finden, mit denen man sich austauschen kann, oder es sind immer die gleichen. Um eine Gelegenheit für Austausch, Dialog und Spaß zu schaffen. Um mit einer ungewöhnlichen, aber sehr kreativen Begegnungspraxis zu experimentieren. Denn einen Raum zu besetzen und eine kleine Gemeinschaft zu bilden, wenn auch nur für kurze Zeit, macht uns zu aktiven Teilnehmern am Leben eines Ortes und kann uns die Möglichkeit geben, ihn neu zu gestalten oder neu zu diskutieren.
TECHNISCHE INFORMATIONEN
POLITIK?
Unter Politik verstehen wir die Art und Weise, wie Menschen, die in Gesellschaften leben, bewusst und unbewusst Entscheidungen treffen und handeln. Alle Praktiken und Beziehungen, die es Menschen ermöglichen, in Gruppen wie Stämmen, Städten oder Ländern zusammenzuleben, sind daher politisch. Das ist eine weit gefasste Definition, aber sie ermöglicht uns zu verstehen, dass alles, was wir in einem sozialen Kontext tun, politisch ist.
IDEALER STANDORT
Öffentlicher Raum im Freien (Parks, Plätze, Straßen, Gärten...)
DAUER
2~3 Stunden
ANZAHL DER TEILNEHMER
~10
ALTER
>15 Jahre (die Erfahrung ist in der Regel tiefer mit Erwachsenen)
ART DER TEILNEHMER:INNEN
Personen, die zufällig am Workshop angezogen wurden, oder spezifischere Gruppen (z. B. Einwohner eines bestimmten Ortes, Schulklassen, Mitglieder eines Vereins, ...)
ERFORDERLICHE KENNTNISSE/FÄHIGKEITEN (Teilnehmer:innen)
Keine
NÜTZLICHE KENNTNISSE/FÄHIGKEITEN (Teilnehmer:innen)
- Verstehen und Sprechen der locale Sprache
- Musikalische Erfahrungen (z. B. Musik hören, Instrumente spielen, singen, mit Klängen experimentieren...)
- Lesen und Schreiben
- Zeichnen
NÜTZLICHES WISSEN/KOMPETENZEN (Moderation)
- Alle oben genannten
- Aufmerksamkeit und Einfühlungsvermögen gegenüber Menschen
- Offene, inklusive und nichtdiskriminierende Einstellung
- Ausgeprägtes Zuhörvermögen
- Erfahrung in der Moderation von Workshops
- Kenntnisse in mehreren Sprachen
MATERIALIEN (checklist)
- A3 oder A4 Papier
- Stifte oder Markers
- Schäre
- Musikinstrumenten (die, die du in deinem Kontext erfassen kannst)
- Natürliche oder häusliche Gegenstände, die zur Erzeugung von Klängen verwendet werden können (Stöcke, Steine, Blätter, Bücher, Flaschen, Gummibänder, ...)
- Bücher, Zeitungen, Texte, Zitate zu politischen/sozialen Themen (fakultativ, aber empfohlen)
- Handtücher oder Kissen (fakultativ, aber empfohlen)
DURCHFÜHRUNG DES WORKSHOPS
Die Klangliche Zusammenkunft ist ein Format, das nach einer Einführung 4 Hauptphasen umfasst:
- Generierung und/oder Auswahl von Themen
- Übersetzung der gewählten Themen in Klang
- Dialog und Vertiefung
- Musikalisches Jammen mit Klängen und Themen als Referenz
Die vier Phasen können linear (empfohlen für die erste Durchführung), zyklisch oder gemischt (empfohlen, wenn das Format mit offener/gelegentlicher Beteiligung durchgeführt wird) durchgeführt werden.
PHASE 0 - EINFÜHRUNG [~15min]
Ziel der Einführung ist es, dass sich die Teilnehmer:innen wohl fühlen, sich gegenseitig kennenlernen und dass die Aktivität, an der sie teilnehmen werden, erklär wird. Die ideale Einführung kann je nach Kontext und Gruppe sehr unterschiedlich ausfallen.
Einige nützliche Aspekte einer guten Einführung
- Eine Umgebung schaffen, in der sich die Teilnehmer:innen wohlfühlen können
- Teilnehmer:innen sollten freundlich begrüßt werden man sollte versuchen sie ein wenig kennen zu lernen
- Wenn sich die Teilnehmer:innen nicht kennen, sollte man sie ermutigen sich vorzustellen und ein wenig miteinander im Austausch zu kommen
- Der Zweck und der Ablauf des Workshops sollten zusammenfasst und leicht erklärt werden
- "Aufwärm-" oder "Kennenlern"-Aktivitäten für die gesamte Gruppe sollten je nach Kontext angeboten werden
PHASE 1 - GENERIERUNG UND/ODER AUSWAHL DER THEMEN [~15min]
In dieser Phase des Workshops geht es darum, Themen zu definieren, mit denen die Teilnehmer:innen eine gewisse Resonanz verspüren, und darüber zu reflektieren. Die Schlüsselfrage in dieser Phase lautet:
"Welches politische Thema liegt uns im Moment besonders am Herzen?"
Ein Thema kann ein einzelnes Wort sein (z. B. "Miete", "Identität", "Demokratie", ...), aber auch ein ganzer Satz (z. B. "Es ist ungerecht, dass Frauen für die gleiche Arbeit weniger verdienen als Männer."). Die Themen können vor Ort gemeinsam generiert oder von der Moderation im Voraus festgelegt werden. In beiden Fällen können Bücher, Zeitungen, Texte (einschließlich Musiktexte) und Zitate zu aktuellen politischen Themen eine große Hilfe sein, um sich inspirieren zu lassen.
Jede Teilnehmende Person kann ein oder mehrere Themen entwickeln und auf einem bereitgestellten Blatt Papier schriftlich und/oder zeichnerisch festhalten. Um später eine facettenreichere und tiefgreifendere Reflexion zu ermöglichen, ist es möglich und sinnvoll (aber nicht notwendig), sich auf ein einziges Thema zu einigen, das von der gesamten Gruppe geteilt wird.
Nach der Festlegung des Themas/der Themen erhält jeder Teilnehmer Zeit, um unabhängig darüber nachzudenken. Unterstützende Fragen:
- Welche Gefühle vermittelt dieses Wort/dieser Satz deiner Meinung nach?
- Welche Assoziationen oder Gedanken kommen bei dir auf, wenn du an dieses Wort denkst?
Die erste Phase endet ohne Diskussion. Teilnehmer:innen ist es freigestellt, selbständig zu reflektieren. Zu diesem Zeitpunkt haben alle Teilnehmer:innen idealerweise über ein oder mehrere Themen nachgedacht und sich schriftliche oder gezeichnete Notizen gemacht.
PHASE 2 - ÜBERSETZUNG DER GEWÄHLTEN THEMEN IN KLANG [~20min]
Die zweite Phase zielt darauf ab, eine klangliche Version der Empfindungen zu erhalten, die die Teilnehmer:innen gegenüber den ausgewählten Themen empfinden. Die Schlüsselfrage in dieser Phase lautet:
"Welche Klänge würdest du verwenden, um die Gefühle auszudrücken, die das Thema bei dir auslöst?"
Es ist wichtig, dass jede Person die Möglichkeit hat, verschiedene Instrumente und/oder Klangobjekte auszuprobieren und mit ihnen zu experimentieren. Die erzeugten Klänge müssen nicht unbedingt "angenehm" sein, im Gegenteil, ein explorativer und freier Ansatz sollte gefördert werden, es gibt kein Richtig oder Falsch. In dieser Phase kann die Person, die das Format moderiert, die Gruppe bei Bedarf unterstützen, indem sie erklärt, wie die Instrumente funktionieren, sie dazu bringt, neue Instrumente auszuprobieren und ihre Neugierde zu wecken. Nach dem Ausprobieren der zur Verfügung stehenden Instrumente hat jede Person die Aufgabe, Klänge zu finden, die ihrer Meinung nach den Gefühlen ähnlich sind, die sie beim Nachdenken über das/die gewählte(n) Thema(s) empfindet.
Die zweite Phase endet, wenn jede Person mit den Klängen experimentiert hat und die Klänge gefunden hat, die ihren Gefühlen am nächsten kommen. Im Idealfall haben alle Teilnehmer:innen mindestens ein Instrument gefunden, mit dem sie sich wohl fühlen.
PHASE 3 - DIALOG UND VERTIEFUNG [30/40min]
Dieser Teil des Workshops zielt darauf ab, einen Dialog über die generierten und/oder ausgewählten Themen anzustoßen, wobei die produzierten Klänge als Unterstützung dienen. Die Schlüsselfrage in dieser Phase lautet:
"Warum habt ihr diesen Klang gewählt?”
Jede Person wird gebeten, ihr(e) Kläng(e) mit der Gruppe zu teilen, ohne sie zu kommentieren. Die Gruppe wird gebeten, auszudrücken, welches Gefühl der Klang ihrer Meinung nach vermitteln könnte, bevor die Person erklärt, warum sie ihn ausgewählt hat. Die Person wird dann gebeten, ihre Wahl zu erläutern, und aus den Antworten wird ein Dialog moderiert.
Einige Aspekte, die in dieser Phase angesprochen werden sollten:
- Die persönlichen Beweggründe jedes Teilnehmers in Bezug auf die Relevanz des Themas
- Ob und inwiefern die gleichen Motivationen auch für den Rest der Gruppe relevant sind
- Maßnahmen oder Praktiken, die im täglichen Leben ergriffen werden können, um mit dem jeweiligen Thema umzugehen
Während des Dialogs ist es wichtig, dass die Moderation sich Notizen über das Gesagte macht. Auch andere Personen können in diesen Prozess einbezogen werden, indem sie gebeten werden, sich Notizen zu den Aspekten zu machen, die ihnen am meisten aufgefallen sind oder von denen sie glauben, dass sie ihren eigenen Erfahrungen nahe stehen.
Am Ende des Dialogs hat ein relativ intensiver Gedankenaustausch über die gewählten Themen stattgefunden, und viele interessante Aspekte haben sich herauskristallisiert und wurden auf Papier festgehalten. Damit ist die dritte Phase abgeschlossen.
PHASE 4 - MUSIKALISCHE JAM [30/40min]
Ziel der letzten Phase ist es, den Dialog und die in der Musik erzeugten Klänge zu katalysieren und den Workshop auf energetische und spielerische Weise abzuschließen. Es handelt sich um eine weniger strukturierte und flexiblere Phase als die anderen, in der die zentrale Frage lautet:
"Wie können wir das, worüber wir gesprochen haben, in Musik umsetzen?
In dieser Phase können die Teilnehmer:innen nach Herzenslust spielen, singen und sich engagieren. Dies funktioniert am besten, wenn einige der Teilnehmer:innen bereits über musikalische Erfahrung verfügen, aber auch mit unerfahrenen Personen ist das Einrichten einer Jam-Session einfacher als es klingt. In dieser Phase dienen die zuvor produzierten Klänge und die gemachten Notizen als Grundlage für die Erstellung von Musik und Texten.
Ideen für den Beginn einer Musik-Jam:
- Die zuvor erlebten Klänge gleichzeitig produzieren um eine Klanglandschaft zu schaffen
- Eine Modulationsübung von leise bis laut machen und umgekehrt
- Einem gemeinsamen Rhythmus folgen (jede Person folgt dem Rhythmus mit einem Instrument ihrer Wahl und fügt nach und nach Melodien oder andere Klänge hinzu)
- Eine einfache Melodie spielen, die zyklisch wiederholt werden kann, und nach und nach weitere Instrumente hinzufügen
Ideen für das Schreiben von Liedtexten:
- Sätze von verschiedenen Personen in einem einzigen Text kombinieren
- Bereits geschriebene Sätze so, wie sie sind, ohne sie weiter auszuarbeiten, verwenden
- Gereimte Sätze erfinden (das hilft den text musikalischer zu wirken)
- Mit Wortspielen experimentieren (um die Erfahrung lustiger zu machen)
- Ein "Manifesto" von Prinzipien/Werten schreiben (hilft, eine kollektive Sichtweise auf das Thema zu entwickeln)
Vorschläge für die Kombination von Text und Musik:
- Text einfach über der Hintergrundmusik lesen
- Sich auf einen aussagekräftigen Satz konzentrieren und versuchen, ihn durch Singen mit verschiedenen Rhythmen und/oder verschiedenen Melodien auszudrücken
- Eine Person singt einen Satz und die anderen wiederholen ihn, u.s.w.
- Jede Person singt oder spricht abwechselnd ein Stück Text zur Musik
Die musikalische Jam ist eine kollektive Aktion, die je nach dem spezifischen Kontext und den beteiligten Personen sehr unterschiedlich sein kann. Wenn sie jedoch mit aktiver Beteiligung und gegenseitiger Aufmerksamkeit/Zuhören angegangen wird, ist sie eine äußerst lohnende Erfahrung. Das Wichtigste ist, sich auf die Musik und dem Moment einzulassen!
TIPPS
Im Folgenden finden Sie einige allgemeine Tipps zum Format der Klangliche Zusammenkunft:
Wahl des Veranstaltungsortes
Die Wahl des Ortes, an dem das Format stattfindet, kann eine starke politische Bedeutung haben. Was könnte es bedeuten, einen Ort zu besetzen, der für eine Gemeinschaft von besonderem Interesse ist, einen Ort, der normalerweise verlassen ist, oder einen Ort, der normalerweise für andere Zwecke genutzt wird? Die - wenn auch nur vorübergehende - Umgestaltung dieser Orte durch eine Klangliche Zusammenkunft kann dazu beitragen, einen Dialog über die Orte selbst in Gang zu setzen und sich auf gesellige und kreative Weise eine andere Nutzung für sie vorzustellen.
Wahl des Themas
Die zentralen Themen einer Klangliche Zusammenkunft können zahlreich und sehr vielfältig sein. Unabhängig von dem Kontext, in dem das Format stattfindet, ist es wichtig, dass die teilnehmenden Personen einen Bezug zu dem/den angesprochenen Thema(n) herstellen können.
Wenn beschlossen wird, ein Thema "aufzudrängen", muss sichergestellt werden, dass jede Person dessen Bedeutung und Notwendigkeit anerkennt, da es andernfalls möglicherweise nicht erwünscht ist, es zu behandeln.
Art der Teilnehmer
Welche Themen werden sich herauskristallisieren, wenn die Gruppe der Teilnehmer zufällig ausgewählt wird? Was ist, wenn es sich um die Bewohner eines einzelnen Gebäudes, eine Schulklasse, eine Gruppe von Freunden, die Mitglieder eines Vereins, ein Arbeitsteam, ... handelt? Die Klangliche Zusammenkunft kann an verschiedene Kontexte angepasst werden, das Experimentieren mit verschiedenen Teilnehmergruppen kann eine sehr spannende Praxis sein.
Werben Sie für den Workshop
Wenn Sie sich dafür entscheiden, den Workshop im öffentlichen Raum und mit zufälligen Personen durchzuführen, ist es eine gute Idee, die Veranstaltung sowohl online als auch offline zu bewerben, vielleicht über bestehende lokale Organisationen und/oder durch persönliche Ansprache von Personen, die daran interessiert sein könnten.
Audioaufnahmen
Da das Format eine starke klangliche Komponente hat, kann es sinnvoll sein, die gesamte Veranstaltung aufzuzeichnen, um den Überblick zu behalten. Bei den Polisfonia-Veranstaltungen haben wir einen Amateur-Audiorecorder (Zoom h4n) verwendet, aber auch ein einfaches Mobiltelefon ist ausreichend. Die Aufnahmen können ein wertvolles Instrument sein, um die Erfahrung zu dokumentieren und weiteren Input für spätere Dialoge zu liefern.